Stella Klein-Löw

Jüdin und Sozialistin

 

 

stella klein

Stella Klein-Löw als junges Mädchen in Wien

Stella Klein-Löw kam 1904 als Stella Herzig im galizischen Przemysl zur Welt. Ihr Vater Samuel Seinwel Herzig wurde am 6. Februar 1875 ebenfalls in Przemysl geboren, ihre Mutter, Frime Rebeka (genannt Regina) am 29. November 1882 in Brody. Am 25. August 1911 erblickte Stellas jüngerer Bruder Jakob das Licht der Welt. Stellas Vater war Direktor einer Schifffahrtsgesellschaft, der Lebensstil der Familie großbürgerlich. Dazu gehörte auch, dass Stella eine ruthenische Amme namens Juschka, hatte. Stella lernte schon als kleines Kind die Armut kennen, in der Juschkas Familie lebte. Dies erweckte ihr soziales Bewusstsein.

Die Familie Herzig übersiedelte kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im Februar 1914, nach Wien. Hier besuchte Stella die „Unterrichtskurse für galizische Mädchen“, bevor sie in der sechsten Klasse ins „Privat-Mädchen-Obergymnasium des Vereins für erweiterte Frauenbildung“ wechselte, wo sie 1923 maturierte. Stella Klein-Löw gehörte zu einer sozialen Untergruppe des Wiener Judentums, die nur selten wahrgenommen wird: das assimilierte galizische Bürgertum. „Meine Eltern waren aufgeklärte Juden“, erklärt Klein-Löw in ihrer Autobiographie. „Den Tempel besuchte keiner von uns, und wir beteten auch nie,“ schrieb sie in ihren Erinnerungen. Ihre Kindheit und Jugend waren von Kunst und Kultur aber auch von den politischen Diskussionen in der Familie geprägt. Nachdem die Familie im Ersten Weltkrieg ihr gesamtes Vermögen verloren hatte, musste Stella bereits in der Mittelschule und später auch auf der Universität ihren Unterhalt durch Nachhilfeunterricht verdienen und fühlte sich als Proletarierin.

Mit etwa 16 Jahren wurde sie Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), mit 18 Jahren trat sie in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) ein. Durch Fleiß und Begeisterung gelang es ihr auch hier, akzeptiert zu werden, obwohl sie Studentin war. Stella besuchte die Mitglieder als Vertrauensperson zu Hause und lernte dabei das große Elend der Arbeiter kennen. Außerdem arbeitete zwei- bis dreimal in der Woche in der Arbeiterbibliothek des 9. Bezirks und trat den Sozialistischen Studenten bei. Dort gehörte sie zur zahlenmäßig kleinen linken Opposition, die unter der Führung ihres späteren Mannes Hans Klein stand.

Trotz ihrer vielfältigen Parteiarbeiten und den vielen Nachhilfestunden studierte sie erfolgreich Germanistik und klassische Philologie und schloss mit einem Doktorat sowie dem Lehramt ab. Da sie dieses Studium nicht ganz erfüllte, belegte sie Kurse in Psychologie bei Karl Bühler und arbeitete in dem von Charlotte Bühler geleiteten Institut für Jugendpsychologie. Durch ihre Arbeit mit Wilhelm und Anna Reich meinte sie, in der Psychoanalyse den ihr gemäßen Beruf gefunden zu haben. Doch nach dem Selbstmord ihres Mannes Hans Klein brachte sie nicht mehr die Kraft auf, ihre Selbstanalyse fortzusetzen. „Ich blieb also in der Schule und nahm mir vor, als Professorin auch Politikerin, Psychologin und Psychoanalytikerin zu sein.“ Die Entscheidung sollte sich als richtig erweisen.

1933 begann Stella Klein-Löw am Chajesgymnasium zu unterrichten, einer Privatschule der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde mit Öffentlichkeitsrecht, die zionistisch ausgerichtet war. Die Wahl dieser Schule war nicht ganz freiwillig. Da die Wiener Schulen von Christlichsozialen und Deutschnationalen dominiert waren und die Arbeitslosigkeit unter Lehrern und Lehrerinnen grassierte, hatte Stella trotz erstklassiger Zeugnisse als Jüdin und Sozialistin keine Chance, an einer anderen Wiener Schule unterzukommen. Im Chajesrealgymnasium traf sie ein Segment der Wiener jüdischen Jugend, das sie bisher nicht gekannt hatte: Die Schüler und Schülerinnen – aus finanziellen Erwägungen heraus wurde das Gymnasium koedukativ geführt – stammten entweder aus ärmlichen, traditionsverbundenen galizischen Familien, die während des Ersten Weltkriegs nach Wien geflüchtet waren, oder aus orthodoxen und zionistischen Familien. Stella Klein-Löw waren diese „jüdischen Juden“ fremd, doch sie bewunderte ihre Zielstrebigkeit: „Sie waren nicht brav, sie waren keine Stucker – sie wußten einfach, worum es ging“, meinte sie rückblickend.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs ans nationalsozialistische Deutsche Reich flüchteten Stella, ihr Bruder und ihre Mutter nach England. Hier arbeitete sie zunächst als Hausgehilfin, Wirtschafterin und Erzieherin für ein geistig behindertes Kind. 1940 heiratete sie den österreichischen Physiker Moe Löw, der nach seiner Entlassung aus Dachau in England aufgenommen worden war. Durch ihre Beziehungen zu englischen Sozialdemokraten erhält sie schließlich einen Posten als Erzieherin in einem Knabeninternat für schwererziehbare Jugendliche, den sie bis Kriegsende behält.

Nach Kriegsende arbeitete Stella vorübergehend mit jugendlichen Überlebenden des KZ Bergen-Belsen, bevor sie mit ihrem Mann 1946 nach Wien zurückkehrte. „Wir wollten“, erklärte sie diesen Schritt, „als österreichische Sozialisten in Österreich, dem besetzten Österreich, leben und arbeiten: persönlich, beruflich, politisch. […] Das Abenteuer ,Neues Österreich – alte Heimat’ reizte und lockte uns. Auch hätten wir uns geschämt, gerade jetzt, Österreich, Wien, den Sozialismus im Stich zu lassen und auf bessere Zeiten zu warten.“ Sie kehrten, wie sie weiter in ihren Erinnerungen schreibt, „ohne Illusionen und ohne Ressentiments“ nach Wien zurück. Hier nahm sie rasch wieder ihre Tätigkeit als Lehrerin wieder auf und wurde schließlich Direktorin einer Mittelschule. Daneben gelang ihr eine eindrucksvolle politische Karriere. Sie konnte sich damit abfinden, dass einige ihrer Parteigenossen vor nicht allzu langer Zeit noch Nazis gewesen waren, ohne ihnen ihre Vergehen zu vergeben. Als Mitglied des Zentralkomitees trug sie den reformistischen Kurs der Nachkriegs-SPÖ mit. Von 1959-1970 war sie als Kandidatin der Leopoldstadt Abgeordnete zum Nationalrat. Ihr Hauptinteresse galt der Bildungspolitik.

stella und mann klein

Stella und Moe Löw nach ihrer Rückkehr nach Wien

 

Die Rückkehr in die Leopoldstadt, den 2. Wiener Gemeindebezirk, der einst die höchste jüdische Bevölkerungsdichte in Wien aufgewiesen hatte, fiel ihr, wie sie schreibt, nicht leicht. Zu gut erinnerte sie sich noch der Verfolgung, welcher ihre Schüler nach dem „Anschluss“ ausgesetzt gewesen waren: „Ich sah vor mir blutende vereiterte Narben auf den Gesichtern und Köpfen der Buben, denen Schläfenlocken mit Reibeisen von SA- und SS-Helden ,rasiert’ worden waren.“ Doch dann gewann ihre Liebe zu den Menschen die Oberhand; sie öffnete sich den Leopoldstädtern und gewann ihr Vertrauen. Erstaunlicherweise gelang es ihr erst jetzt, ihre Vorurteile gegen strenggläubige „Ostjuden“ abzulegen: „Ich änderte meine Einstellung zu Menschen. Alles Diskriminierende verschwand. Es blieb nur ein großes Staunen zurück, dass ich einmal einen Unterschied gemacht hatte zwischen Jiddisch und gepflegtes Deutsch sprechenden Menschen, zwischen Menschen aus orthodoxen und solchen aus assimilierten Familien.“ Stella Klein-Löw bemühte sich auch um die Verbesserung der Beziehungen zwischen Österreich und Israel und war Vorstandsmitglied der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft. Sie starb 1986 in Wien.

 

Eleonore Lappin-Eppel

 

 

Abbildungsnachweise:

Stella Klein-Löw als junges Mädchen in Wien. Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien; DOEW_Foto-01297.JPG

Stella und Moe Löw nach ihrer Rückkehr nach Wien. Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien, DOEW_Foto-08375_3.JPG

 

 

Quellen:

Stella Klein-Löw, Erinnerungen. Erlebtes und Gedachtes, Wien, München 1980

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 19133/a; 19133/b